Die Anfänge der photographischen Industrie in Zürich von 1880-1926

Zusammenfassung des Vortrages von Walter Baur, ehemaliger ETH-Mitarbeiter, gehalten am photographischen Kolloquium an der ETH Zürich, am 11. Januar 1979.

Strassenszene in Zürich, aufgenommen mit der Kino-Kamera gebaut von JH Smith in Zürich 1896

Die Photogeschichte Zürichs steht mit dem Photographischen Institut der Eidgenössischen Technischen Hochschule in engem Zusammenhang. Schon sieben Jahre vor dessen Gründung begann Dr. Tuchschmid (1847-1883) über Photochemie zu lesen; nach dessen Tod im Jahre 1883 wurde Dr. Barbieri (1852- 1926) sein Nachfolger. 1886 wurde das Photographische Institut gegründet, Dr. Barbieri wurde zu dessen Vorsteher und 1889 zum Professor ernannt; er leitete das Institut bis zu seinem Tode im Jahr 1926. Wie gross das Interesse an der Photographie war, zeigt, dass Professor Barbieri im Wintersemester 1886/87 in der Vorlesung, die 2 Wochenstunden dauerte, 81 Hörer hatte, im Praktikum waren es 33 Teilnehmer.

Professor Barbieri war auch lange Zeit Präsident des Photographen-Clubs Zürich und der Photographischen Gesellschaft Zürich, und so stand er laufend in Kontakt mit den Herstellerfirmen. Oft wurde Professor Barbieri um Rat gebeten, oder man sandte ihm Muster von Papieren und Trockenplatten oder auch andere Neuentwicklungen zur Begutachtung. Die Prüfungsunterlagen, Dokumentationen, Bildmaterial und die wichtigste Korrespondenz klassierte Professor Barbieri ordentlich nach Sachgebieten.



Die Photographie, erfunden von den beiden Franzosen Nicéphore Niépce ( 1765-1833 und Louis Jacques Mande Daguerre ( 1781-1851), wurde am 19. August 1839 der Öffentlichkeit vorgestellt. Die französische Regierung kaufte die Erfindung, die nun jedermann auf der ganzen Welt frei zur Verfügung stand. Schon fünf Jahre später kam Johannes Ganz (1821-1886) von Bülach nach der Kantonshauptstadt Zürich, um seinen gelernten Beruf als Lithograph auszuüben. Im Jahre 1844 wurde seine Firma als Lithographie ins Handelsregister eingetragen. Um seine Bilder nicht mehr zeichnen zu müssen, erlernte der künstlerisch und technisch hochbegabte junge Mann von reisenden Photographen die Kunst der Photographie. Das 1859 eröffnete Photo-Atelier nahm einen grossen Aufschwung, so dass sich ein Umsiedeln in die neuen Räumlichkeiten an der Bahnhofstrasse im Jahre 1868 aufdrängte. Ende der siebziger Jahre konstruierte Johannes Ganz einen mit Petrollampe betriebenen Projektor, den er ,,Pinaskop" nannte. Die vier verschiedenen Modelle waren im In- und Ausland sehr gefragt, und der Name Ganz wurde auch durch den Vertrieb von über 4000 selbst hergestellten Projektionsbildern weitherum bekannt. Diese fanden in Schulen und Instituten als Anschauungsmaterial Verwendung und umfassten die Gebiete der Länderkunde, Anatomie, mikroskopische Ansichten, Zoologie und Geologie. Als 1886 Johannes Ganz starb, übernahm Rudolf Ganz (1848-1928) das Geschäft. Rudolf Ganzs Sohn Emil arbeitete einige Jahre bei Smith in Zürich, mit dem er nach England ging, blieb bis 1899 dort, übernahm nach seiner Rückkehr das väterliche Geschäft, verbesserte die Herstellung der Diapositive und gründete die Firma Ganz & Co. als Spezialgeschäft für Projektion.

“Pinacoscop" (Projektor) 1879 für Dias 8,5 x 10 cm von J. Ganz. Zürich

Nachdem sich die Gelatine-Trockenplatten gegen die achtziger Jahre allmählieh durchzusetzen begannen, war Robert Scheuermeyer in Zürich der erste, der solche herstellte. Er war Inhaber eines Photoateliers an der Bahnhofstrasse 67 und begann, wie aus einem Inserat im, “Düsseldorfer Photographisches Archiv" vom 1. Januar 1885 zu entnehmen ist, Ende 1884 mit der Herstellung von Trockenplatten. Seine  “Momentplatten" (der Ausdruck gibt einen Hinweis auf die für damalige Begriffe hohe Lichtempfindlichkeit) stellte er in seiner Fabrik an der Sihlstrasse 93 in Zürich her. Wie einem weiteren Inserat in der Lokalzeitung vom Oktober 1886 zu entnehmen ist, bot er seine Trockenplatten “den HH Photographen und Amateurs" im Format 13 x 18 cm zum Preise von Fr. 4.- das Dutzend an, auch empfahl er sich “gebrauchte Gläser ungereinigt neu zu begiessen” und verrechnete für das Format 13 x 18 cm Fr. 3.- das Dutzend. Ende 1886 wechselte er sein Domizil nach der Selnaustrasse 52, und im Jahre 1891 wurde wahrscheinlich der Konkurrenzkampf so stark, dass Scheuermeyer seinen Betrieb einstellte.


Ein Unternehmen, das sich mit der Kamera­ Fabrikation befasste, war Jakob Goldschmid & Sohn. 1859 kam Jakob Goldschmid (Vater) von Winterthur-Neustadt nach Zürich und richtete an der Trittligasse 34 eine Werkstätte für physikalisch­ optische Geräte ein. Sein Sohn interessierte sich sehr für die Photographie und began1889 das bekannte “Goldschmid Binocle" herzustellen. Diese Kamera patentierte er (Patent No.1241, vom 30. Juli 1889).

Goldschmid ,Binocular" Kamera 1889 für Platten 5 x 6 cm und Fallverschluss

Es war eine Geheimkamera, die aussah wie ein Feldstecher. Ein optisches System diente der Mattscheibenbetrachtung, während das andere die Platte belichtete. Über den Mitteltrieb wurden beide Objektive gleichzeitig scharf eingestellt. Der Guillotine-Verschluss ermöglichte, mit zwei verschiedenen Verschluss-Schiebern, eine längere und eine kürzere Verschlusszeit. Zwei Auslöser, pneumatisch und mechanisch, die Plattenkassette und der für den Transport wegschraubbare Betrachtungstubus für die Mattscheibe deuten auf eine teure Kamera hin. Wieviele Exemplare davon hergestellt wurden, ist heute leider nicht mehr feststellbar, jedenfalls ist der Apparat heute ein sehr gesuchtes Sammlerstück. Goldschmid Sohn führte das Optik-Geschäft, das bereits sein Vater an der Rämistrasse betrieben hatte, über die Jahrhundertwende weiter.


Der bedeutendste photographische Industriebetrieb war die Trockenplattenfabrik Dr. J.H. Smith. John Henry Smith (1860-1917) war gebürtiger Engländer, absolvierte einen Teil seines Chemiestudiums in Zürich und erwarb sich sein emulsionstechnisches Fachwissen bei der renommierten Firma Mawson & Swan in Newcastle-on-Tyne (England). In einem Zirkularschreiben vom 30. August 1889 teilte Smith mit, dass er an der Casinostrasse 3 in Zürich-Hottingen eine Trockenplattenfabrik eröffne. Hier produzierte er während zwei Jahren mit grossem Erfolg.


1890 übernahm die Firma Engel & Feitknecht in Twann die Vertretung seiner Produkte für die Schweiz, Frankreich, Italien, Spanien und Portugal. Trotz sehr starker Konkurrenz, vor allem aus Deutschland, wagte Smith seine Produkte zu exportieren. Schon zwei Jahre nach Produktionsbeginn konnte Smith ein reichhaltiges Plattensortiment anbieten; “weisse", ”rote" und “grüne" Platten bezog sich auf die Empfindlichkeit. Daneben goss er auch orthochromatische Platten, Abzieh- und Diapositivplatten sowie verschiedene Photopapiere. Aus der Frühzeit dieser Fabrik stammt auch ein Empfehlungsschreiben von Herrn Professor Barbieri, der die Qualität der Smith-Platten mit dem Prädikat “ausgezeichnet" umschreibt und darauf hinweist, dass die namhaftesten Photographen mit Smith-Platten arbeiten. Allmählich wurden die Räumlichkeiten in Hottingen zu klein, so dass Smith 1891 nach Zürich-Wollishofen (in die Nähe der heutigen “roten Fabrik") umzog. 1893 konstruierte Smith eine Giessmaschine für die Beschichtung von Trockenplatten, die bei stark gesenkten Produktionskosten eine Kapazität von 400 Platten, 18 x 24 cm, in der Stunde ermöglichte.


Zur selben Zeit ergaben sich bei der Eastman Kodak Company in Rochester (USA) im Sektor der Trockenplattenherstellung Probleme. George Eastman sandte den eben engagierten Abteilungsleiter William G. Stuber auf eine Studienreise nach Europa. Stuber besuchte Smith in Wollishofen und erwarb von ihm im Auftrag der Eastman Kodak Company die Rechte an der Giessmaschine sowie die Kenntnisse von Smiths Emulsion; eine direkte Übernahme europäischer Technologie, die für die Qualität der Kodak-Platten massgebend wurde. Smith war auch auf dem Sektor der Kinematographie tätig. Nachdem Edison 1893 die Filmkamera erfunden hatte und die Gebrüder Lumiêre nach ihrem Verfahren die ersten Filme vorführten, konstruierte Dr. Smith einen Kinomatographen, der sowohl als Aufnahme- als auch als Wiedergabegerät verwendet werden konnte. Der 17 1/2- jährige Emil Ganz (1879-1962) war damals bei Smith tätig und durfte seinen Dreharbeiten anlässlich des diamantenen Jubiläums der Königin Viktoria (1897) in London beiwohnen. Die rund 1000 Meter Film, welche Smith in England drehte, wurden noch während einiger Jahre in Schaubuden gezeigt und gingen dann verloren. In den Unterlagen von Professor Barbieri befand sich ein wenige Zentimeter langes Stückchen Film, das Smith wahrscheinlich im Jahre 1896 der ETH zur Begutachtung übersandt hatte.

Abgesehen davon, dass Smith Kinofilmmaterial (sowohl mit Edison- als auch mit Lumiêre Perforation) anfertigte, begann er Ende der neunziger Jahre mit der Herstellung von Rollfilmen. Auch das nach 1904 unter der Bezeichnung “Rigi-Platte" und, Rigi-Papier" verkaufte preisgünstigere Material wurde von Dr. Smith in Wollishofen fabriziert.

Bald nach der Jahrhundertwende befasste sich Smith eingehend mit der Farbenphotographie. In Weiterentwicklung des Patents von Adolf Gurtner in Bern (Patent No. 25650, vom 20. Februar 1903), brachte Smith am 26. August 1903 Patent No. 29446 ,Photographische Aufnahme-Platte mit drei lichtempfindlichen Schichten für die Drei-Farbenphotographie" zur Anmeldung, mit dem eine verbesserte Farbwiedergabe möglich war.

 Zur gleichen Zeit stellte Smith farbige Auskopierpapiere her. Grundlage zu diesem dreischichtigen Papier war ein Patent des in Wien und Berlin lebenden Polen Jan Szezepanik. Heute noch vorhandene “Aneto"­ Farbbilder zeigen etwas vermischte Farben, was darauf zurückzuführen ist, dass die Farbstoffe von einer Schicht zur andern diffundieren konnten. 1907 fanden Smith und Merkens neue Farbstoffe, die weniger diffundierten und zu besseren Resultaten führten. 1908 verliess Smith die Limmat­ Stadt, gründete in Paris eine neue Firma und stellte das “Uto"-Papier noch einige Jahre weiter her.


Eine weitere wichtige Firma der Photoszene Zürichs war die Firma Egg-Schädler, die zunächst als Handels- und Vertriebsfirma photographischer Produkte, dann aber auch als Hersteller von Kameras in Erscheinung trat. 1892-95 an der Bahnhofstrasse 94, dann 1896/97 an der Bahnhofstrasse 108, patentierte er 1894 seine Magazin­ Kamera (Patent No. 8752, 23. Juli 1894, Photographischer Apparat", Egg-Schädler & Co.), erwähnt 1896 im Katalog von Georg Meyer & Co, Zürich. Formate 9 x 12, 12 x 16, 13 x 18 cm und Stereo 8 5 x 17 cm, mit Suter- oder Goerz-Objektiven. Egg­ Schädler ist bis 1907 im Steurregister erwähnt.


Auch auf dem Gebiet der Feinmechanik war um die Jahrhundertwende in Zürich eine bedeutende Firma tätig: Gottlieb Zulauf( 1871 -1959) gründete 1895 die Firma Zulauf & Co., die an der Rieterstrasse 55 eine optisch-feinmechanische Werkstätte einrichtete und bis 15. Februar 1898 ausschliesslich Mikroskope und Spezialapparate herstellte. Am 15. Februar 1898 zog sie nach der Leonhardstrasse 29 um, wo sie mit der Fabrikation von, Aplanaten" (Lizenzbau von Steinheil-Objektiven) begann. Die Konstruktion von zwei Klapp-Kameras mit eingebautem Sektoren-Verschluss für die Formate 6,5 x 9 und 9 x 12 cm, zwang Zulauf, neue Räumlichkeiten zu suchen und so zog er nach der nahegelegenen Tannenstrasse 11 um. 1903 begann er mit dem Bau seiner bekannten “Polyskope"-Stereo­ Kameras, 45 x 107 und 60 x 130 mm. Auch der Bau der bekannten Bébé-Kameras 4,5 x 6 und 6,5 x 9 cm, die sich als geeigneter Exportartikel erwiesen, zwangen Zulauf, abermals umzuziehen, diesmal nach der Tannenstrasse 15, wo er bis 1907 blieb. In dieser Zeit entwickelte er seine sehr gefragten.”Polyskope" weiter: Polyskop O, festes Modell in einfacher Ausführung; Polyskop I, festes Modell ohne Naheinstellung; Polyskop II, festes Modell mit Naheinstellung; Polyskop III, festes Modell mit Naheinstellung und Hochverstellbarkeit der Objektive.

Erneut machte sich eine Raumknappheit bemerkbar, so dass Zulauf 1908 am Sihlquai 266-268 eine moderne Fabrik baute . Um optimal produzieren zu können, beschränkte er sich auf die beiden Spitzenkameras, Polyskop" und „Bébé", zu denen er auch das Zubehör bis zu den Ledertaschen selbst anfertigte. 1909 wurden die Zulauf-Produkte an der Internationalen Photographischen Ausstellung in Dresden mit der goldenen Medaille ausgezeichnet. Daraufhin setzte sich die Firma ICA in Dresden mit Zulauf in Verbindung und offerierte ihm die Übernahme seiner Produktion. So erlosch in unserem Lande die bedeutendste Herstellerfirma photographischer Apparate.


In der Zeit um die Jahrhundertwende haben in Zürich noch einige Firmen existiert die sowohl photographisches Material herstellten als auch nur vertrieben haben.

Auch die minuziöseste Geschichtsforschung kann hier kaum eine klare Trennungslinie ziehen, da die wesentlichsten Angaben schon damals verschwiegen wurden. So zum Beispiel die Fabrik photographischer Papiere “Photos AG" in Zürich und Wädenswil, ein Unternehmen, dessen Geschichte kaum je lückenlos geschrieben werden kann. Ein weiteres beliebtes Photopapier hatte in der Umgebung von Zürich seinen Ursprung: das Casoidin-Papier. Sein Erfinder, Otto Buss 1871-1906}, verwendete Milcheiweiss-Präparate zu dessen Herstellung, die er 1903 in seiner Fabrik in Rüschlikon begann. 1918 wurde die Produktion nach Glarus verlegt, während im Zürcher Werk verschiedene photochemische Produkte (z.B., „Grapholin"-Returschierlösung) hergestellt wurden. 1922 stellte die Firma Buss & Co. ihre Produktion ein. Auch vom Photohaus Georg Meyer & Co., welches sich von 1896-1901 am Bahnhofplatz, Ecke Waisenhausstrasse, befand, ist uns nur bekannt, dass Satinierungsmaschinen aus eigener Fabrikation verkauft wurden.

1901 ging Georg Meyer & Co. in die Firma Meyer & Kienast über, die “Meyka"-Platten verkaufte. Ob es sich um Gelatine-Trockenplatten eigener Fabrikation handelte, oder ob Fremdfabrikate unter eigenem Namen verkauft wurden, bleiben wohl ungeklärte Fragen.

Wir dürfen es als besonderen Glücksfall bezeichnen, dass uns die Unterlagen aus den Anfängen des Photographischen Instituts von Professor Barbieri erhalten blieben. So konnte die Frühzeit der photographischen Industrie in Zürich bis auf einige Lücken rekonstruiert werden.

Photos: Photographisches Institut ETHZ